von Christian Schönberg

Wohnungsbau sieht sich als Wachstumsmotor für die Gesamtwirtschaft
Schon 50.000 neue Mietwohnungen pro Jahr lassen Volkswirtschaft um 0,5 Prozent steigen
Im Grunde ist das Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, vom Tisch. Anders als ihre Vorgängerin möchte sich zumindest die neue Bundesbauministerin Verena Hubertz nicht auf solch einen festen Wert festlegen. Aber das einmal Gesagte aus der Welt zu schaffen, ist auch nicht so einfach. Zumindest hat sich die Initiative „Neues Bauen – 80 Sekunden“ das alte Ziel zum neuen Namen gemacht.
Das lässt sich einfach vorrechnen. Das Normaljahr hat 365 Tage, anders gesagt: 8.760 Stunden oder auch 525.600 Minuten, die wiederum 31,5 Millionen Sekunden umfassen. Das wiederum geteilt durch 400.000 ergibt das Ziel, alle rund 80 Sekunden eine neue Wohnung in Deutschland fertig gebaut zu haben.
Auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Spaßbads „blub“ wird daran konkret gearbeitet. Dort entstehen 860 Wohnungen im Zeitraffer. Serielle und systemische Vorfertigung sind das Credo. „Es ist noch gar nicht so lange her, da haben hier die Tieflader Schlange gestanden“, erinnert sich Dennis Hammer von Goldbeck.
Der Projektleiter führt Ende Juni an einem lauen Sommerabend eine 30-köpfige Delegation über die Baustelle. Die Tieflader, so erfahren sie, hatten die fertigen Bauelemente geladen, die auf der Baustelle nur noch zusammengesetzt werden mussten. Die Badezimmer sind gleich komplett gekommen. „Wir produzieren die fertigen Sanitärzellen in Dänemark“, so Hammer.
Die Delegation entstammt einem zweitägigen Experten-Dialog in der „MalHalla“ von Berlin. Sie ist auf Einladung der Initiative „Neues Bauen – 80 Sekunden“ dort zusammengekommen. Nicht nur die Spitzen führender Bauunternehmen war dort. Auch die der Politik ließen sich dort sehen – so die Landeschefs von Hamburg, Horst Tschentscher (SPD), und Thüringen, Mario Voigt (CDU).
Solche Projekte wie in Berlin sind ganz nach dem Geschmack des Ministerpräsidenten: „Die neue Thüringer Regierung setzt auf schnellere Genehmigungen, serielles Bauen und gezielte Förderung“, sagte Voigt. Eigentum und Wohnraum verstehe er daher nicht nur als soziale Frage – „sondern auch als entscheidenden Standort-Vorteil“. Damit meinte er sein eigenes Bundesland, das er als „grünes Herz“ Deutschlands betitelte. Aber es gilt für jede andere Region auch – und insbesondere für die Großstädte wie Berlin.
In Voigts Worten klingen schon die zwei dunklen Gesichter des zurückliegenden Bauwirtschaftseinbruchs an. Der Wohnungsneubau-Mangel bietet zum einen sozialen Sprengstoff – weil frustrierende Wohnungssuche in Großstädten mit hohen Ausgaben für die Neuanmietung einhergeht. Und die Bauflaute bremst zum zweiten die Gesamtwirtschaft aus: „Wenn Deutschland eines der führenden Industrieländer bleiben will, müssen wir unsere Wohnungswirtschaft neu organisieren – nicht nur aus branchenspezifischer Sicht, sondern als gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit“, wie Prof. Dr. Bert Rürup in seiner Rede im „MalHalla“ betonte.
Rürup, der von 2005 bis 2009 als Deutschlands oberster „Wirtschaftsweise“ fungierte, rechnete vor: Der Bau von 50.000 neuen Mietwohnungen aus dem sogenannten Genehmigungsüberhang könnte kurzfristig bis zu 0,5 zusätzliches gesamtwirtschaftliches Wachstum schaffen: ein wichtiges Plus in einem Land, das in den vergangenen beiden Jahren immer ein Minus beim jeweiligen Vorjahresvergleich hatte.
Die öffentlichen Kassen würden sich in solch einem Fall auch füllen: Denn ein halbes Prozent mehr Wirtschaftskraft sorgt für rund fünfeinhalb Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen. Nicht zuletzt, so Rürup, würden pro eine Million Euro Bauvolumen auch 13 neue Arbeitsplätze und – da Neues nachhaltiger gebaut wird – mehr Klimaverträglichkeit entstehen.
In diesem Sinne ist auch das Projekt „Greenpark“ auf dem Gelände des ehemaligen „blub“ in Berlin-Neukölln ausgelegt. Bis zu 350 Beschäftigte packen täglich auf der Baustelle für den Neubau der Wohnungen an – ganz zu schweigen von den vielen Fachkräften, die im Werk die Bauelemente vorfertigen. Und ein 55er Effizienzhaus-Standard wird ebenso erzielt. Solaranlagen auf allen Dächern erzeugen regenerativen Strom und ein begrüntes Retentionsdach ein Regenwasser speicherndes Mikroklima. Die energetische Versorgung sichert eine hochmoderne Wärmerückgewinnung aus dem Abwasserkanal.
Vor allem geht es im besagten Express-Tempo voran. Baubeginn war Anfang April 2024. 24 Monate später sollen die 860 Wohnungen komplett fertig sein; viele sind schon ab diesem Jahr bezugsreif. Allein für die eine Baustelle schafft man die 80 Sekunden pro neue Wohnungen zwar noch nicht. Aber wer ein, zwei und viele neue „Greenparks“ gleichzeitig in Deutschland baut, nähert sich nicht nur dem Wert – er könnte ihn vielleicht sogar übertreffen.
Aber das geht nicht nur mit dem systemischen, seriellen Bauen, wie es Goldbeck auf dem Berliner Dreieinhalb-Hektar-Gelände betreibt. Ein Schwerpunkt des zweitägigen „MalHalla“-Treffens war „Mehr Wohnraum unter dem Dach“. Dazu ist eine Studie vorgestellt worden, die der Hersteller Velux bei Leaftech in Auftrag gege-
ben hat.
Demnach gibt es deutschlandweit ein ungenutztes Potenzial an zusätzlichen Wohnungen auf oder unter dem Dach. Diese Zahl liegt den Analysten zufolge bei 429.252. Besonders großes Potenzial erzielt dabei Bayern mit 64.685 möglichen Wohnungen vor Hamburg (46.784), Hessen (31.541) und Baden-Württemberg (30.340).
Für Velux-Geschäftsführer Matthias Mager sind die Ergebnisse der Studie deshalb so wertvoll, weil sie über theoretische Szenarien hinausgehen: „Sie liefern sowohl konkrete als auch realistische Anknüpfungspunkte, an denen wir als Unternehmen ansetzen können, um jetzt ins Handeln zu kommen“, sagte er während des Zusammentreffens in der Berliner
„MalHalla“.
Darüber hinaus ermöglicht die Studie eine differenzierte Betrachtung des Potenzials nach Eigentümerstruktur – mit dem Ziel, jene Gebäude zu identifizieren, bei denen die Umsetzung von Nachverdichtungsmaßnahmen besonders realistisch und kurzfristig möglich ist. Wird das Potenzial auf Gebäude ohne Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) begrenzt, ergibt sich ein realistisch erschließbares Potenzial von 272.429 Wohneinheiten. Bezieht man auch WEG mit ein, steigt die Zahl auf 429.252. Berücksichtigt man darüber hinaus auch Altbauten oder Einfamilienhäuser, liege das Potenzial sogar deutlich höher, heißt es.
Um diese Potenziale ausschöpfen zu können, braucht es allerdings ein vereinfachtes Baurecht, schnellere Genehmigungsverfahren und stabile Förderprogramme mit konstanten Anforderungen, die der Wirtschaft Planungssicherheit geben. Überdies ist eine enge und koordinierte Zusammenarbeit innerhalb der Branche förderlich, wie Mager weiter betont: „Es gibt viele Unternehmen, die bereits seit Jahren erfolgreich Ausbauten und Aufstockungen im Dach umsetzen: Wandel kann nur gelingen, wenn wir unser Wissen und Engagement bündeln“, sagte er.
Zu diesem Zweck wurde bereits im März im Rahmen des Netzwerks „Neues Bauen – 80 Sekunden“ eine Taskforce gegründet, die das Ziel verfolgt, das ungenutzte Potenzial von Dachgeschossen systematisch zu analysieren und durch Pilotprojekte zu erschließen. Neben Velux und Leaftech beteiligen sich daran die Unternehmen Schlüter Systems, Saint-Gobain sowie Mitsubishi Electric Europe.
Foto: Christian Schönberg
von Christian Schönberg