Nutzfahrzeuge - von Redaktion

Weltpremiere auf öffentlichen Straßen

Mit Ausnahmegenehmigung: Mercedes-Benz Actros mit Highway Pilot fuhr als erster Serien-Lkw teilautomatisiert auf der Autobahn

Stuttgart – Auf der A8 zwischen Denkendorf und dem Flughafen Stuttgart ließ Daimler Trucks am 2. Oktober den weltweit ersten automatisiert fahrenden Serien-Lkw über die Autobahn rollen. Zusammen mit Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann absolvierte Dr. Wolfgang Bernhard, im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für Lkw und Busse, die Jungfernfahrt im Mercedes-Benz Actros mit Highway Pilot-System.

Bei dem Premieren-Lkw handelt es sich um einen serienmäßigen Mercedes-Benz Actros, der für die Erprobung des auto­nomen Fahrens auf öffentlichen Straßen mit dem intelligenten System Highway Pilot ausgestattet ist. Der Truck ist gemäß §19/6 StVZO als Versuchsfahrzeug zugelassen. Der TÜV Rheinland hatte das Fahrzeug überprüft und eine gutachterliche Stellungnahme erstellt. Auf dieser Grundlage erteilte das Regierungspräsidium Baden-Württemberg eine Ausnahmegenehmigung gemäß §70 StVZO.

„Unsere Premiere ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zur Markt­reife autonom fahrender Lkw – und hin zu einem sicheren, nachhaltigen Straßengüterverkehr der Zukunft“, sagte Daimler-Vorstand Dr. Bernhard. Sven Ennerst, Leiter Entwicklung Daimler Trucks: „Wir freuen uns, dass Baden-Württemberg uns diese Tests genehmigt hat. Damit beweist das Land echten Pioniergeist. Und wir freuen uns natürlich auch, dass der TÜV uns die Sicherheit unseres Systems so deutlich bestätigt hat.“

Die Multisensorfusion, das heißt die Kombination bewährter Assistenz- und Sicherheitssysteme und Sensoren der neuen Generation, ermöglicht dem Lkw mit Highway Pilot-System den gesamten Bereich vor dem Fahrzeug ständig zu be­obachten und in bestimmten Situa­tionen selbst das Steuer zu übernehmen. Das gab Dr. Wolfgang Bernhard die Gelegenheit, ohne Risiko die Hände vom Steuer zu nehmen.

Von der Raststätte steuerte er den Actros auf die Autobahn Richtung Karlsruhe. Sobald sich der Lkw in den fließenden Verkehr auf der rechten Fahrspur eingeordnet hatte, hieß es „Highway Pilot On“ und das System bot an, den Fahrbetrieb zu übernehmen.

Der Fahrer kann durch Knopfdruck bestätigen. Akkurat hält der Actros die Fahrspur und den optimalen Abstand auf das Fahrzeug vor ihm. Wird der Abstand zu gering oder schert ein Fahrzeug vor ihm auf die Fahrbahn ein, bremst der Lkw ab. Die Fahrzeuginsassen sitzen indessen bequem in der funktionalen, modernen Fahrerkabine und plaudern entspannt.

An der Ausfahrt Flughafen/Messe forderte das System Wolfgang Bernhard wieder auf, das Steuer zu übernehmen und der Lkw wechselte vom automatisierten Fahrbetrieb zurück zur manuellen Steuerung – „Highway Pilot Off“. Er lenkte den Actros von der Autobahn und fuhr im Anschluss direkt wieder auf die A8, diesmal in entgegengesetzter Richtung. Das Szenario war das gleiche: Der Actros steuerte und bremste selbstständig im laufenden Autobahnverkehr.

Näherte er sich einem Hindernis, wie auf der A8 einer Baustelle, fordert das System ihn zur Übernahme des Fahrzeugs auf. Lag die Bau­stelle hinter dem Lkw, konnte der Highway Pilot abermals die Führung des Fahrzeugs übernehmen. Sicher assistierte das System die beiden Insassen bis zur Abfahrt bei Wendlingen. Dort übernahm wieder Wolfgang Bernhard den Fahrbetrieb und steuert den Lkw von der Autobahn.

Die Maschine fährt
sicherer als jeder Mensch
Der eingesetzte Mercedes-Benz Actros war ausgestattet mit dem 12,8 l Motor, OM 471 und allen bewährten Assistenz- und Sicherheitssystemen, wie Mercedes PowerShift 3, Predictive Powertrain Control (PPC), Active Brake Assist 3, Abstandhalte-Assistent, Aufmerksamkeits-Assistent und einen Fleetboard-Fahrzeugrechner. Diese Systeme sind verknüpft mit den Sensoren des Highway Pilot – Radar und Stereokamera.

Die gesamte Technik des Actros mit Highway Pilot befindet sich also im Fahrzeug, der Lkw benötigt für seine automatisierte Fahrfunk­tion kein Internet.
Das System ist ideal für die Autobahn: Es hält den korrekten Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug und bremst rechtzeitig, wenn ein anderes Fahrzeug vor ihm auf die Fahr­bahn einschert.

Der Highway Pilot ersetzt den Fahrer nicht, sondern unter­stützt und entlastet ihn, indem er ihm monotone Fahrstrecken abnimmt und das nervenraubende Stop-and-go-Fahren im Stau übernimmt. Der Fahrer hat im autonomen Fahrbetrieb jederzeit die Kontrolle über den Lkw und kann in kniffligen Situationen wieder selbst die Führung des Fahrzeugs überneh­men.

Die Redundanz in der Sensorik und ausfallsichere Komponenten wie Lenkung und Bremsen garantieren einen extrem hohen Sicherheits­standard.
Sind die Mindestvoraussetzungen für das System aufgrund schlechten Wetters oder fehlender Fahrbahnmarkierung nicht gegeben, fordert der Highway Pilot den Fahrer durch akustische und optische Signale zur manuellen Übernahme auf. Der Fahrer hat für die Übernahme der Fahr­aufgabe ausreichend Zeit. Erfolgt keine Reak­tion des Fahrers bringt sich der Lkw selbständig und sicher zum Stillstand.

Etwa zwei Drittel aller Unfälle im Straßenverkehr sind Auffahrunfälle und Unfälle durch unbeabsichtigtes Abkommen von der Fahrspur. Häufig sind Müdigkeit, Ablenkung und Fahrfehler die Ursachen. Darin ist der Highway Pilot jedem Menschen überlegen. Er ist wach, konzentriert und gelassen. Ohne Ausnahme, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.

Gerade Fernverkehrs-Lkw sind prädestiniert für autonomes Fahren. Es ermöglicht eine erhebliche Effizienzsteigerung der Transportbranche, insbesondere durch die Reduzierung der Total Cost of Ownership. Eine Erhöhung der Verkehrssicherheit und Senkung des Kraftstoffverbrauchs sind gerade im Fernverkehr enorm wichtige Aspekte.

Ein Fernverkehrs-Lkw fährt im Jahr durchschnittlich 130.000 km. Der autonom fahrende Truck unterstützt den Fahrer, indem er ihm monotone Fahrtstrecken und mühsames Stop-and-go-Fahren im Stau abnimmt.

Tests der Daimler-Forschung zum Fahrerzustand während des automatisierten Fahrbetriebs haben gezeigt, dass der Fahrer durch diese Entlastung nachweislich langsamer ermüdet. Seine Aufmerksamkeits­rate ist gegenüber der Fahrt im konventionellen Actros um rund 25 Prozent erhöht, wenn er die Möglichkeit hat, sich anderen Tätigkeiten zu widmen.

Konnektivität gewinnt mehr
Bedeutung im Verkehr der Zukunft
Die Nutzung digitaler Netzwerken im Verkehr steht erst am Anfang einer großen Entwicklung. Konnektivität bedeutet nicht nur Kombination aller Assistenz-, Sicherheits- und Telematiksysteme mit den neuen Sensor­systemen, sondern auch intelligente Vernetzung der Fahrzeuge unter­einander und mit der Verkehrsinfrastruktur.

Wenn ein Lkw frühzeitig über Verkehrsereignisse informiert wird, die weit vor oder hinter ihm liegen, kann entsprechend reagiert werden. Im autonomen Fahrbetrieb passt sich das Fahrverhalten so an die Eigenschaften der vorausliegenden Strecke an.

Durch den homogeneren Verkehrsfluss sinken Kraftstoffverbrauch und Emissionen. Gleichzeitig werden die Transportzeiten kalkulierbarer und die Aggregate der Lkw durch die gleichmäßige Fahrweise geschont.
Dadurch verringern sich auch wartungs- und reparaturbedingte Standzeiten des Lkw. Eine Entlastung der Verkehrsinfrastruktur und die Optimierung des Waren­flusses sind wichtige Voraussetzungen für Flottenbetreiber, um auch in Zukunft erfolgreich unterwegs zu sein.

Schritt für Schritt
zum autonomen Fahren
Bereits im Juli 2014 ließ Mercedes-Benz seinen Future Truck 2025 auf einer Teststrecke bei Magdeburg fahren und im Mai 2015 sorgte die Weltpremiere des Freightliner Inspiration Truck für Aufsehen.
Daimler präsentierte damit den ersten hoch automatisiert fahrenden Lkw mit Straßenzulassung. Sowohl beim Future Truck 2025 als auch beim Inspiration Truck handelt es sich um Konzeptfahrzeuge, die mit weiteren Funktionen ausgestattet sind.
Mirror-Cam, drehbarer Sitz und integriertes Tablet sind Elemente, die im Actros mit Highway Pilot nicht vorhanden sind. Begründet liegt dies darin, dass das Fahrzeug nach dem Automatisierungs­level 2 (teilautomatisiertes Fahren) zugelassen ist. Das bedeutet, dass der Highway Pilot dem Fahrer in bestimmten Situationen sowohl bei der Längs- als auch Querführung des Lkw assistieren kann. Der Fahrer muss allerdings ständig das Fahrzeug und die Verkehrssitua­tion überwachen und jederzeit dazu in der Lage sein, die Steuerung des Lkw wieder zu übernehmen.

Aus diesem Grund sind Nebentätigkeiten, wie zum Beispiel die Nutzung eines Tablets während der automatisierten Fahrt derzeit nicht zugelassen.

Auf der Teststrecke in Magdeburg hatte der Future Truck 2015 bereits die Auto­matisierungsstufe 3 (hochautomatisiertes Fahren) abgebildet: Das heißt, das System erkennt selbstständig die Systemgrenzen und fordert ent­sprechend den Fahrer zur Übernahme der Fahraufgabe auf.
Und auf dieser Automatisierungsstufe muss der Fahrer das System nicht mehr dauerhaft überwachen und könnte sich während der Fahrt auch Nebentätigkeiten widmen.

von Redaktion

Erschienen in Ausgabe: Oktober 2015 | Seite 29

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