von Gastautor
„Tariftreuegesetz benachteiligt kleinere Bauunternehmen“
Stimmt der Bundesrat zu, steigt der bürokratische Aufwand bei Ausschreibungen des Bundes ab 2026 um ein Vielfaches
Das geplante Bundestariftreuegesetz (BTTG) verpflichtet Unternehmen, die Aufträge für den Bund ausführen (wollen), bestimmte tarifvertragliche Arbeitsbedingungen einzuhalten. Auch wenn die Baubranche auf Grund der Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) bereits mit dem Konzept der gesetzlichen Geltung tariflicher Arbeitsbedingungen und der Haftung für Pflichten eingesetzter Nachunternehmen vertraut ist, wird das BTTG zusätzliche Pflichten mit sich bringen.
Tariftreuegesetz: Stand der Gesetzgebung – ab wann gelten neue Regelungen?
Nach öffentlicher Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales und der geplanten Lesung im Bundestag Anfang November befasst sich der Bundesrat am 19. Dezember mit dem Entwurf. Das Gesetz tritt nach der Verkündung in Kraft, nicht jedoch vor dem 1. Januar 2026.
Für wen gilt das Bundestariftreuegesetz?
Das BTTG betrifft die Vergabe und Ausführung öffentlicher Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge ab einem Auftragswert von 50.000 Euro. Diese Schwelle dürfte in der Bauindustrie stets überschritten sein. Vom Gesetz erfasste, mögliche Auftraggeber sind der Bund und juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes; die Vergabeverfahren der Länder und Kommunen bleiben hingegen unberührt. Ausnahmen bestehen unter anderem im Bereich der Verteidigung und der zivilen Sicherheit. Demnach wird das Gesetz keine Anwendung bei den in den kommenden Jahren zur Erhöhung der Wehrfähigkeit zahlreich zu erwartenden Infrastrukturmaßnahmen zur Deckung der Belange der Bundeswehr finden.
Tariftreuegesetz: Welche Neuerungen gelten?
Auftragnehmer des Bundes müssen sich zukünftig verpflichten, festgelegte tarifliche Arbeitsbedingungen während der Auftragsausführung einzuhalten. Zusätzlich ist in den Verträgen eine Vertragsstrafe und ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall der Pflichtverletzung vorzusehen. Dieses Konzept ist bereits aus einigen Vergabegesetzen der Länder bekannt. Neu nach dem BTTG ist, dass eine sog. „Prüfstelle Tariftreue“ bei der Deutschen Rentenversicherung eingerichtet wird, die die Einhaltung der Arbeitsbedingungen nach dem BTTG (anlassbezogen) überwacht. Die (anlassunabhängigen) Prüfungen und Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit finden hiervon losgelöst statt.
Welche tariflichen Regelungen müssen eingehalten werden?
Nach dem BTTG bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) durch Rechtsverordnung, welche Regelungen aus bestehenden Tarifverträgen von den Auftragnehmern während der Auftragsausführung für den Bund eingehalten werden müssen. Diese solchermaßen nach dem BTTG festlegbaren Regelungen betreffen
• die Entlohnung (einschließlich tariflicher Mindestlöhne, Entgeltgruppen sowie Zuschläge für Nacht-, Schicht- und Mehrarbeit),
• den Mindestjahresurlaub und
• die Höchstarbeitszeiten, Mindest-ruhezeiten, Ruhepausen.
Bei einer Auftragsdauer von weniger als zwei Monaten sind nur die Regelungen zur Entlohnung verpflichtend einzuhalten.
Das Konzept ist der Baubranche bereits aus dem AEntG bekannt. Auch nach dem AEntG sind den Arbeitnehmern in der Baubranche bei ihrer Tätigkeit in Deutschland – unabhängig von der Tarifbindung – mindestens folgende Arbeitsbedingungen eines bundesweit geltenden, allgemeinverbindlichen bzw. kraft Rechtsverordnung festgelegten Tarifvertrags zu gewähren (vgl. § 5 AEntG):
• Mindestentgelte, Überstundensätze
• Bezahlter Mindestjahresurlaub, Urlaubsentgelt, Urlaubsgeld
• Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten, Ruhepausen;
• Beiträge zur SOKA-Bau
• Zulagen oder Kostenerstattung zur Deckung der Reise-, Unterbringungs-, sowie Verpflegungskosten.
Die vorgenannten Bedingungen gelten – anders als nach dem BTTG – unabhängig von der Auftragsdauer für jede Tätigkeit in Deutschland. Die Vorgaben nach dem AEntG sind künftig neben den Vorgaben nach der Rechtsverordnung nach dem BTTG einzuhalten. Die maßgebliche Erweiterung wird darin liegen, dass nach dem BTTG zukünftig nicht mehr nur Mindestentgelte zu gewähren sind, sondern ggf. auch die Vergütung höherer Lohn- und Gehaltsgruppen eines solchermaßen für verbindlich erklärten Tarifvertrags.
Nachunternehmerhaftung – welche Erweiterungen ergeben sich?
Wie auch bislang nach dem AEntG müssen die Unternehmen der Baubranche sicherstellen, dass die Verpflichtungen zur Tariftreue auch durch die durch sie eingesetzten Nachunternehmer erfüllt werden. Die Unternehmen haften dafür, dass auch die eingesetzten Nachunternehmer die vorgenannten tariflichen Vorgaben einhalten. Die Regelung im BTTG folgt demselben Prinzip wie die (Nachunternehmer-)Haftung aus § 14 AEntG, § 13 MiLoG – geht aber über diese hinaus, da das BTTG die erfassten Branchen gegenüber dem AEntG erweitert und, je nach Ausgestaltung der Rechtsverordnung, weitergehende tarifliche Regelungen zur Anwendung bringt.
Die Haftung nach dem BTTG ist (wie die Haftung nach dem AEntG) verschuldensunabhängig – es kommt also nicht darauf an, ob der Auftragnehmer wusste oder hätte verhindern können, dass der Nachunternehmer die tariflichen Vorgaben aus dem BTTG nicht einhält. Neben der Haftung aus dem BTTG (und dem AEntG) haften Bauunternehmen wie bislang für die Beitragsabführung zur SOKA-Bau durch den Nachunternehmer und auch dessen Subunternehmer. Des Weiteren haften die Bauunternehmen für die ordnungsgemäße Abführung der Beiträge der Nachunternehmer zur Berufsgenossenschaft und zur Sozialversicherung. Das BTTG lässt diese bereits bestehende Haftung unberührt.
Zwar können sich Bauunternehmer durch eine Präqualifizierung grundsätzlich von der Haftung nach dem BTTG befreien. Dies gilt jedoch nur, soweit über das Vermögen des Nachunternehmers oder des Verleihers kein Insolvenzverfahren eröffnet ist – was in der Praxis allerdings den Hauptanwendungsfall der Nachunternehmerhaftung darstellen dürfte. Die Präqualifizierungsmöglichkeit schützt daher nicht. Zudem schließt die Präqualifikation die Haftung für die Mindestbedingungen nach dem AEntG (das heißt also insbesondere auch die Haftung für die Beitragsabführung zur SOKA-Bau) nicht aus. Diese bleibt auch bei einer Präqualifikation bestehen. Die Haftungseinschränkung für die Beitragsabführung zur Berufsgenossenschaft und Sozialversicherung durch einen Präqualifikationsnachweis bleibt vom BTTG unberührt.
Dokumentations- und Informationspflichten
Gegenüber ihren Arbeitnehmern besteht für die Unternehmen damit die Pflicht zur Gewähr der nach der Rechtsverordnung festgelegten tariflichen Arbeitsbedingungen. Arbeitnehmer erhalten einen direkten Anspruch gegen ihren Arbeitgeber auf die Einhaltung dieser Arbeitsbedingungen (auch dies ist nach dem AEntG bereits gegeben). Ein Verzicht auf diese Rechte ist ausgeschlossen – nach dem AEntG ist ein Verzicht zumindest durch gerichtlichen Vergleich möglich. Ausschlussfristen nach dem BTTG darf nur das BMAS festlegen – nach dem AEntG müssen diese im Tarifvertrag selbst geregelt sein und mindestens sechs Monate betragen.
Neu ist, dass die Arbeitnehmer spätestens am fünfzehnten Tag des Folgemonats nach der ersten Tätigkeit in Ausführung des Auftrags über diese Ansprüche informiert werden müssen. Hierzu wird das BMAS eine Mustervorlage zur Verfügung stellen. Informiert der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht, stellt dies einen Verstoß gegen Vertragsbedingungen dar – es drohen Vertragsstrafen und je nach Schwere des Verstoßes die Kündigung des Vertrages. Außerdem muss der Auftragnehmer die Einhaltung der maßgeblichen Arbeitsbedingungen dokumentieren und nachweisen.
Fazit
Ziel des Gesetzes ist die Stärkung der Tarifautonomie und der Tariftreue sowie die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Das Gesetz führt jedoch vor allem zu zusätzlicher Bürokratie und benachteiligt vor allem kleinere und mittelgroße Unternehmen. Für Betriebe der Baubrache sind viele Regelungen bereits aus dem AEntG bekannt – gehen jedoch zum Teil darüber hinaus. Eine Stabilisierung des Tarifvertragssystems ist zweifelhaft: denn es wird einfacher sein, „nur“ während der Auftragserfüllung für den Bund die nach dem BTTG verbindlichen Tarifverträge anzuwenden, als daneben eine Kollision dieser Tarifverträge mit einem eigenen Haustarifvertrag oder Tarifverträgen anderer Branchen zu lösen. Für die Baubranche bleibt zu hoffen, dass sich Festlegungen nach dem BTTG nach den bereits nach dem AEntG geltenden Tarifverträgen richtet.
Zusätzlicher (Bürokratie-)Aufwand wird dadurch entstehen, dass wieder neue Informations- und Dokumentationspflichten statuiert werden. Die notwendigen Compliance Systeme, um die Einhaltung der Bedingungen durch den Nachunternehmer sicherzustellen, dürften jedoch zumindest in der Baubranche bereits weitestgehend etabliert sein
Zu den Autoren
Dr. Angela Emmert ist Partnerin in der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Köln und seit 2003 Fachanwältin für Arbeitsrecht.
Dr. Yannick Schmitter ist Senior Associate bei CMS Hasche Sigle. Er berät Unternehmen im Bausektor zu Fragen der Generalunternehmerhaftung, der Arbeitnehmerentsendung sowie zu allen Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen im Baugewerbe.
Bild: Auch öffentliche Aufträge im Straßenbau, wie beispielswiese die Sanierung eines Autobahntunnels, werden künftig unter Berücksichtigung des neuen Tariftreuegesetzes vergeben. (Foto: Autobahn GmbH)
von Gastautor
Erschienen in Ausgabe: Dezember 2025 | Seite 1