von Gastautor

Pandemie: Auftraggeber hat Dokumentationspflicht

Auftragnehmer kann Entschädigungsansprüche geltend machen

Deutschland sind durch die von der Covid-19-Pandemie ausgelöste Krisensituation beeinträchtigt. Sie stehen still oder es kommt zu Verzögerungen. Iris Burkhart und Tabitha Niersmann erläutern, was Auftraggeber bei Bauzeitverzögerungen in Zeiten der Pandemie wissen müssen:

Es ist unabsehbar, welche Auswirkungen die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern noch entfalten werden. So ist fraglich, ob Bauzeitverzögerungen, die jetzt entstehen, bis zum geplanten Baubeginn von Folgegewerken aufgearbeitet sein werden. Solche Verzögerungen können sich noch auf Gewerke auswirken, die ihren geplanten Baubeginn erst in einem halben Jahr oder später haben. Um bauzeitlichen Ansprüchen die derzeitigen Einschränkungen durch Covid-19 berechtigterweise als Einwand entgegenhalten zu können, müssen Auftraggeber darauf achten, die erforderliche Dokumentation zu erstellen und notwendige Maßnahmen zu ergreifen.

Ein Auftragnehmer kann grundsätzlich Entschädigungsansprüche geltend machen, wenn der Auftraggeber eine Mitwirkungshandlung nicht rechtzeitig erbringt, also in Annahmeverzug gerät (§ 642 BGB). Ein solcher Anspruch setzt kein Verschulden des Auftraggebers voraus. Es muss allerdings – sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist – eine zumutbare Beeinflussbarkeit der einwirkenden Umstände durch den Auftraggeber, bestehen. Der BGH hat eine solche Beeinflussbarkeit z.B. bei unerwarteten Witterungsverhältnissen verneint (Urteil vom 20.04.2017 – VII ZR 194/13). Dem Urteil zufolge muss es entweder tatsächlich unmöglich oder nicht mit wirtschaftlich vernünftigen Mitteln möglich gewesen sein, die Einwirkung dieser Witterungsverhältnisse auf das Baugrundstück zu verhindern.

Auch bei Beeinträchtigungen, die durch das Corona-Virus entstehen, muss dieser Maßstab – sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist – angesetzt werden. Für die Bewertung eines Anspruchs der Folgegewerke ist daher entscheidend, ob und inwieweit der Auftraggeber die sich aus der Pandemie ergebenden hindernden Umstände beeinflussen konnte. Bei sehr viel später geführten Verhandlungen oder gerichtlichen Prozessen muss der Auftraggeber diese Voraussetzungen darlegen und beweisen können. Welche Anforderungen an die Prüfung und Dokumentation der einzelnen Störungen auf der Baustelle für den Auftraggeber gelten, hängt von der jeweiligen Ausgangslage ab.

Dass der Auftraggeber auf konkrete behördliche Anordnungen Einfluss nehmen kann, ist aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Situation sehr wahrscheinlich auszuschließen. Bei jeder Änderung der staatlichen Maßnahmen ist der Auftraggeber verpflichtet zu überprüfen, ob etwaige Behinderungen weiter anhalten oder Maßnahmen ergriffen werden können – dies insbesondere auch im Fall einer möglichen schrittweisen Lockerung der Maßnahmen.

Damit wird bereits „in der Krise“ die Grundlage für die spätere Abwehr verschuldensunabhängiger Ansprüche geschaffen. Denn jetzt muss geprüft und dokumentiert werden, ob eine Baustelle tatsächlich aufgrund konkreter Beeinträchtigungen durch die Krisenlage stillsteht oder sich verzögert und welche Maßnahmen ergriffen werden können:
Nachweis der Beeinträchtigung durch die Corona-Krise
Das bloße Bestehen der Krise genügt nicht zur Begründung von Beeinträchtigungen. Eine Behinderungsanzeige muss alle Tatsachen aufführen, die zur Behinderung im Bauablauf führen und es dem Auftraggeber ermöglichen, diese nachzuvollziehen. Das umfasst über den Verweis auf die Krise hinaus auch die konkreten betrieblichen oder bauablaufbezogenen Auswirkungen der Maßnahmen, die zur Behinderung und einer daraus folgenden Störung führen.

Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Komplexität der aktuellen Lage: Dadurch, dass die einzelnen europäischen Länder ihre Maßnahmen in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß umgesetzt haben, ist kein einheitlicher Zeitpunkt greifbar, ab dem alle Unternehmen pauschal behindert sind. Einige sind es gar nicht, da mit den Regelungen unterschiedlich umgegangen wird. Daher ist die konkrete betriebliche Organisation entscheidend.

Die gleichen Anforderungen wird ein Auftraggeber erfüllen müssen, der sich gegenüber einem Nachfolgegewerk auf Beeinträchtigungen des Bauablaufs berufen möchte, die auf dem Corona-Virus beruhen. Für den Auftraggeber bietet es sich an, auf die Behinderungsanzeigen der von ihm beauftragten Auftragnehmer zurückzugreifen. Sofern diese zwar in der Sache begründet, aber nicht hinreichend substantiiert sind, ist zunächst der „Auftragnehmer in der Krise“ zur Darlegung aller relevanten Tatsachen anzuhalten. Gelingt dies nicht, kann zwar ein Rückgriff auf diesen möglich sein, dennoch sollte der Auftraggeber vorsorglich die bauzeitlichen Auswirkungen auf jedes einzelne Gewerk im Rahmen einer konkret bauablaufbezogenen Darstellung selbst dokumentieren.

Hierfür ist erforderlich nachzuweisen, dass - trotz der Komplexität eines Bauablaufs - ein kausaler Zusammenhang zwischen einer sich zum späteren Zeitpunkt auswirkenden Beeinträchtigung und der jetzigen, aufgrund der Pandemie eintretenden Verzögerung, besteht. Die Rechtsprechung wendet dabei für die Darlegung und den Nachweis bauzeitlichen Vortrags die vom BGH an Auftragnehmer gestellten Anforderungen auch auf Auftraggeber an. Dies bedeutet, dass auch Auftraggeber nicht umhinkommen werden, eine konkrete bauablaufbezogene Darstellung vorzulegen, um die Verzögerungen schlüssig kausal auf ein bestimmtes Ereignis zurückzuführen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31.05.2017 - 16 U 98/16).

Wir empfehlen daher, die bauzeitlichen Auswirkungen auf jedes einzelne Gewerk und insbesondere auf dem kritischen Weg seit Beginn der Corona-Krise im Rahmen einer konkret bauablaufbezogenen Darstellung zu dokumentieren
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Mittel zum Erreichen der Mitwirkungshandlung
Außerdem wird ein Auftraggeber bei jeglichen Änderungen der Maßnahmen auf nationaler oder internationaler Ebene, sofern diese für sein Vorhaben relevant sind, umgehend prüfen müssen, welche wirtschaftlich vernünftigen Mittel er ergreifen kann. Möglich sind u.a. Umplanungen des Gesamtbauablaufs oder Beschleunigungsanordnungen. Sämtliche zumutbaren, also wirtschaftlich vernünftigen Mittel, sollten ergriffen werden. Denn nur, wenn diese nicht bestehen oder aber ergriffen wurden, kann der Nachweis gelingen, dass eine spätere Verzögerung nicht aus der Risikosphäre des Auftraggebers stammt und deswegen auch verschuldensunabhängige Ansprüche (gemäß § 642 BGB) ausscheiden müssen. Die in diesem Zusammenhang geprüften Maßnahmen und Möglichkeiten sind zu dokumentieren. Wurde umgeplant, wurden andere Unternehmen konkret angefragt oder Beschleunigungschritte angeordnet, deren Zulässigkeit rechtlich ohnehin umstritten sind, sind die jeweiligen Maßnahmen und die Gründe, warum diese nicht erfolgreich waren, darzustellen.

Fazit
Auftraggeber sind gut beraten, besonders in der aktuellen Situation eine schlüssige Dokumentation sicherzustellen.

Über die Rechtsanwältinnen
Iris Burkhart und Tabitha Niersmann sind im Praxisbereich „Real Estate“ der Kanzlei LUTZ | ABEL. Sie sind auf privates Bau- und Architektenrecht sowie Vergaberecht spezialisiert und vertreten Bauherren und Bauunternehmen.

von Gastautor

Erschienen in Ausgabe: Seite 5| Juni 2020

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