Interview -

„Mindestlohngesetz ist zum Überstundenaufschreibegesetz mutiert“

„Mindestlohngesetz ist zum Überstundenaufschreibegesetz mutiert“

DBU/Berlin – Seit dem ersten Januar gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn. Zumindest 8,50 Euro Stundenlohn erhält seither jeder Arbeitnehmer für seine Tätigkeit – ganz gleich, wie qualifiziert er ist. In der Baubranche gibt es Mindestlöhne seit 18 Jahren und sie liegen deutlich über 8,50 Euro pro Stunde. Insofern ist der Bau gar nicht so stark von der Einführung des Mindestlohns betroffen. Dennoch drängen die Spitzenverbände der Bauwirtschaft auf Nachbesserungen beim Mindestlohn. Der BauUnternehmer sprach mit Rechtsanwalt (RA) Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, über die Kritik am Mindestlohn.

Der BauUnternehmer (DBU): Herr Knipper, woran entzündet sich Ihre Kritik am gesetzlichen Mindestlohn?
RA Michael Knipper: Unsere Kritik richtet sich nicht gegen den Mindestlohn. Wir sind absolute Befürworter von Mindestlöhnen auf Baustellen. Unsere Branche, die Bauwirtschaft, ist der Erfinder des Mindestlohns in Deutschland. Wir haben bereits im Jahr 1997 den Mindestlohn eingeführt. Damals drängten Hunderttausende Billigarbeitskräfte aus dem Ausland auf den deutschen Baumarkt, vor allem aus Osteuropa. Aufgrund der höheren Löhne wurden die deutschen Arbeiter durch billigere aus den Nachbarstaaten ersetzt. Dieses „Wettbewerbsdumping am Bauzaun“ haben wir mit Hilfe des Mindestlohns unterbunden. Selbstverständlich sind wir auch dafür, dass die Einhaltung des Mindestlohns kontrolliert wird.
Unsere Kritik richtet sich explizit gegen die nicht ausreichende Ausnahmeverordnung zur Mindestlohn-Dokumentationspflicht. Diese hat das Bundessozialministerium unter Leitung von Ministerin Andrea Nahles (SPD) am 29. Dezember 2014, als fast alle Büros geschlossen waren, in die Welt gesetzt. Und damit hat uns diese Verordnung, im wahrsten Sinne des Wortes, kalt erwischt.

DBU: Was stört sie an der Ausnahmeverordnung?
RA Michael Knipper: Uns stört, dass Bundessozialministerin Nahles in die Ausnahmeverordnung eine gesetzliche Pflicht zur Dokumentation von Überstunden eingeschleust hat – und zwar nicht nur für die schutzwürdigen Arbeiter und Angestellten mit geringen Einkommen, sondern auch für gut verdienende Angestellte.

DBU: Wie kam es dazu?
RA Michael Knipper: Zunächst muss man wissen, dass für neun Branchen, die besonders von Schwarzarbeit betroffen sind (Anmerk. d. Rd.: Bau; Gaststätten und Beherbergung; Personenbeförderung; Spedition, Transport, Logistik; Schausteller; Forstwirtschaft; Gebäudereiniger; Messe- & Ausstellungsbau; Fleischwirtschaft) eine Dokumentationspflicht für die erbrachten Arbeitsstunden besteht, sofern der Beschäftigte im Monat 2.958 Euro oder weniger verdient.
Dass auf den Baustellen eine Dokumentation der Arbeitsstunden erfolgt, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Nur so lässt sich der Mindestlohn kontrollieren.
Aber wir haben ein Problem damit, dass diese Dokumentationspflicht auch unsere Angestellten in den Büros trifft. Branchenweit sind davon zirka 120.000 bis 150.000 Angestellte betroffen. Viele von diesen erhalten sehr gute Gehälter – zum Teil weit über 3.000 Euro. In der Regel arbeiten unsere Büroangestellten unter der sogenannten „Vertrauensarbeitszeit“ – das heißt, die Arbeitszeit wird nicht näher überwacht, Überstunden werden nicht aufgeschrieben. Aber ein Halbsatz in der Ausnahmeverordnung des Bundesarbeitsministeriums sieht vor, dass alle Überstunden dokumentiert werden müssen. Alle, – selbst wenn der Angestellte deutlich über 2.958 Euro im Monat verdient. Somit sind quasi alle unsere Angestellten verpflichtet, ihre Überstunden aufzuschreiben.
Das Mindestlohngesetz ist durch diesen Halbsatz zu einem „Überstundenaufschreibegesetz“ mutiert – und damit zu einem Bürokratiemonster. Eigentlich hatten wir gehofft, dass mit der Ausnahmeverordnung eine Entbürokratisierung der Mindestlohnregeln einhergehen würde. Aber genau das Gegenteil ist eingetreten.

DBU: Vor welche Probleme stellt sie die Pflicht, die Überstunden der Angestellten aufzuschreiben?
RA Michael Knipper: In vielen Unternehmen, wo Vertrauensarbeitszeit gilt, bauen die Arbeitgeber drauf, dass die Arbeitnehmer ohne Überwachung ihre tariflich und vertraglich festgelegte Arbeitszeit erfüllen. Das ist in einer digitalisierten Arbeitswelt auch kaum anders möglich. Wir sind gezwungen, immer mehr auf Vertrauensarbeitszeitmodelle zu setzen. So sind einige Mitarbeiter so viel unterwegs, dass gar nicht immer klar ist, ob das nun gerade Arbeitszeit ist oder nicht.
Zudem haben wir auch viele Mitarbeiter, die im Außendienst tätig sind und somit viel unterwegs sind, zum Beispiel mit dem Flugzeug oder mit der Bahn. Da können wir gar keine Arbeitszeiten aufschreiben.

DBU: Was steht genau in diesem umstrittenen Halbsatz, der die Ausnahmeverordnung zu einem „Überstundenaufschreibegesetz“ macht?
RA Michael Knipper: Im Wortlaut steht dort: „... und für die der Arbeitgeber seine nach § 16 Absatz 2 des Arbeitszeitgesetzes bestehenden Verpflichtungen zur Aufzeichnung der Arbeitszeit und zur Aufbewahrung dieser Aufzeichnungen tatsächlich erfüllt.“
Der Halbsatz verweist auf das Arbeitszeitgesetz und die Vorschrift geht auf das Jahr 1938 zurück und ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Laut Arbeitszeitgesetz dürfen Arbeiter und Angestellte pro Tag maximal zehn Stunden arbeiten. Jeder länger währende Arbeitstag muss demnach vorab von den Gewerbeaufsichtsämtern genehmigt werden.
Das ist völlig unpraktikabel und mit der Digitalisierung der Arbeitswelt nicht vereinbar. Gerade die Tätigkeit von hoch qualifizierten Mitarbeitern, die sehr gut verdienen und viel unterwegs sind, wird durch dieses Gesetz fast unmöglich. Denn sollte ein Arbeitstag ohne vorherige Genehmigung des Gewerbeaufsichtsamtes mal länger als zehn Stunden dauern, würde man sich einer Ordnungswidrigkeit strafbar machen.
Das macht den ganzen Irrwitz des Arbeitszeitgesetzes klar. Im Grunde gehört der § 16 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes völlig novelliert.

Wir haben es also mit zweifachem Irrsinn zu tun. Zunächst müssen wir alle Überstunden unserer Mitarbeiter kontrollieren und dokumentieren. Zum Zweiten dürften unsere Mitarbeiter eigentlich an einem Tag nicht mehr als zwei Überstunden erbringen – denn darüber hinaus wäre eine behördliche Genehmigung nötig.

DBU: Von wem wurde das Bundesarbeitsministerium getrieben, dass es eine solche Regelung erlassen hat?
RA Michael Knipper: Es sind eindeutig Ziele der Gewerkschaften hier durch die Hintertür mit dem Gesetz verbunden worden. Das Ministerium hat sich vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) treiben lassen. Überstunden waren schon lange Thema beim DGB. Die Gewerkschaftsführer hatten mit dem Mindestlohngesetz die Chance gewittert, über die Hintertür die Überstunden-Dokumentationsaufzeichnungspflicht für Angestellte einzuführen. Diese Pflicht hatte sich der DGB schon lange gewünscht.
Die Informationen über die geleisteten Überstunden wollen die Gewerkschaften für neue Forderungen in den Tarifrunden nutzen. Für sie sind die Überstunden quasi eine „neue Taste auf dem Klavier der Forderungen“.

DBU: Welche staatliche Stelle soll eigentlich die Aufzeichnung der Überstunden kontrollieren?
RA Michael Knipper: Die strittige Verordnung sieht vor, dass der Zoll überall die Überstundendokumentation kontrolliert. Bisher waren die Gewerbeaufsichtsämter für die Kontrolle der Arbeitszeiten kompetent und zuständig. Der Zoll hat die Überstunden auf den Baustellen für Arbeiter kontrolliert.
Insgesamt verfügt der Zoll über rund 6.500 Leute. Viel zu wenig um diese immense Aufgabe, die ihm die Mindestlohnregelung zuschiebt, zu bewältigen. Demnach müsste der Zoll alle Branchen überwachen. Das kann er nicht leisten. Die 6.500 Leute sollten sich besser auf die Bereiche konzentrieren, wo wirklich der Schuh drückt und der gesetzliche Mindestlohn nicht eingehalten wird.

DBU: Herr Knipper, lassen sie uns abschließend nochmals auf die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten zurückkommen. Wie sie sagen, müssen für alle Beschäftigten, die weniger als 2.958 Euro im Monat verdienen, die Arbeitsstunden dokumentiert werden. Halten Sie diese Grenze für angemessen?
RA Michael Knipper: Dieser Wert ist in unseren Augen deutlich zu hoch. Wenn man den Mindestlohn erhält, entspricht sie einem Arbeitspensum von 350 Arbeitsstunden im Monat.
Ursprünglich wollte Ministerin Nahles nur leitende Angestellte ausnehmen und hatte eine Wertgrenze von 4.500 Euro im Monat vorgesehen. Doch zum Glück konnten wir die Wertgrenze wenigstens etwas herunterverhandeln.
Die Parlamentsgruppe der CDU im Bundestag hatte gezeigt, dass, wenn man seriös rechnet, eine Wertgrenze von 1.900 Euro ausreicht, um den schutzwürdigen Interes­sen der Mindestlohnempfänger gerecht zu werden.
Wir, der Hauptverband der Bauindustrie, haben uns in den Verhandlungen gemeinsam mit unseren Sozialpartnern für eine Wertgrenze von zirka 2.200 Euro ausgesprochen.
Von den Befürwortern eines höheren Wertes wird immer so getan, als ginge es der Wirtschaft um Mindestlohnverstöße. Tatsächlich ist mit der Wertgrenze nur festgelegt, bis wohin der Zoll genauer prüfen sollte, weil ein Mindestlohnverstoß nicht unwahrscheinlich ist. Jeder Arbeitnehmer kann davon völlig unabhängig seine berechtigten Mindestlohnansprüche durchsetzen. Man bestraft also mit übertriebener Bürokratie die ehrlichen Unternehmer, obwohl der gesetzliche Mindestlohn nicht in Gefahr ist. So kann man keine seriöse Politik machen.

Herr Knipper, ich bedanke mich recht herzlich, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.


Die Fragen stellte DBU-Redakteur Heiko Metzger.

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