Digitalisierung -

Hemmschuh Informations-Management

Digitaler Bauprozess soll Branche höhere Wachstumsraten bescheren

DBU/Berlin/Frankfurt(Main) – Die kommenden Jahrzehnten stellen die globale Bauwirtschaft vor Herausforderungen in bisher unbekanntem Ausmaßen. Laut UN-Prognosen werden im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Sieben Milliarden davon sollen in Städten leben. Das heißt, in den nächsten drei Dekaden wird sich die städtische Bevölkerung rundum den Globus verdoppeln. Für all diese Menschen muss Wohnraum geschaffen werden. Auch die urbane Infrasturktur muss der steigenden Einwohnerzahl angepasst, sprich ausgebaut werden. Wie diese gigantische Aufgabe bewältigt werden kann, diskutierten Mitte Oktober internationale Experten auf dem Autodesk Construction Event 2017 in Frankfurt am Main.

Nicolas Mangon, Vize-Vorstandschef des US-amerikanischen Software-Giganten Autodesk und zuständig für die Businesstrategie und das Marketing des Konzerns, nannte gleich zu Beginn der Veranstaltung den „wunden Punkt“ der Bauwirtschaft. „Die Bauindustrie hat in den zurückliegenden Jahrzehnten ihre Produktivität kaum steigern können“, so Autodesk-Topmanager Mangon, „während die verarbeitende Industrie im gleichen Zeitraum ihre Produktivität erheblich gesteigert habe.
Tatsächlich reinvestieren Unternehmen der verarbeitenden Industrie im Schnitt 3,3 Prozent ihrer Einnahmen. Die Investitionsquote der Bauwirtschaft liegt bei 1,2 Prozent, und somit deutlich niedriger. „Die Landwirtschaft ist die einzige Branche, deren Investitionquote noch geringer ausfalle als die des Bauwesens“, erläuterte Autodesk-Vize Mangon.

Laut Volker Krieger, verantwortlich für die Implementierung von BIM (Building Information Modelling) beim Böblinger Beratungsdienstleister Fact GmbH, liegt der Hauptgrund für die Produktivitätsschwäche der Bauwirtschaft im schlechten Informationsmanagement der Branche. Krieger, ebenfalls Referent beim Autodesk Construction Event 2017, verwies auf eine Studie aus Großbritannien. Laut dieser ist der schlechte Umgang mit Informationen der Hauptgrund für die zögerliche Produktivitätssteigerung in der Baubranche.

Besserer Informationsfluss
Zur Lösung des Informationsproblems setzen die Referenten der Veranstaltung einhellig auf die Digitalisierung der Branche, konkret auf das Building Information Modelling (BIM).
Autodesk-Vorstandsmitglied Mangon stellte den Event-Teilnehmern die Autodesk-Lösung BIM 360 vor. „Diese ersetzt BIM nicht, sondern erweitert es“, sagte Mangon. Das System verbinde die reale und die digitale Bauwelt, wodurch eine enorm große Datenmenge gesammelt werde. „Diese Daten und Informationen versetzen Unternehmen nicht nur in die Lage, bessere Entscheidungen zu treffen, sondern auch mehr Entscheidung bewusst zu treffen“, so Autodesk-Vize Mangon.
BIM 360 werde auch wertvolle Informationen über die Gebäudenutzung sammeln und bereitstellen, versicherte Mangon und nannte Beispiele: „Welcher Raum wird zu warm? Oder: Unter welchen Voraussetzungen nutzen die Menschen die Terrasse?“
Zum BIM-Konzept gehört laut Mangon auch, dass die Daten jederzeit und überall abrufbar sind. Bei der Lösung von Autodesk erfolge diese Bereitstellung über Forge, die Cloud-Plattform von Autodesk.

BIM-Lösung von Autodesk
Laut Sarah Hodges, Autodesk-Geschäftsführerin des Geschäftsbereiches Construction Business Line, achtet Autodesk darauf, 1.) dass die BIM-Lösungen des Konzerns über offene Schnittstellen verfügen, 2.) dass die Autodesk-Lösungen mit anderen Systemen zusammenarbeiten können, 3.) dass die BIM-Software von Autodesk das zeitgleiche Arbeiten verschiedener Prozessteilnehmer ermöglicht und 4.) dass die Software das Projekt zugleich überwacht.
Auch auf die Alltagssicherheit der Arbeiter auf den Baustellen werde BIM einen großen Einfluss ausüben, so Hodges. Künftig werde BIM aktiv auf bestehende Sicherheitslücken wie fehlende Helme hinweisen.
Nicolas Mangon spricht auf der Veranstaltung in Frankfurt davon, dass durch die BIM-Einführung möglich sein wird, 30 Prozent der Materialkosten einzusparen. Dies werde vorrangig erreicht, indem 90 Prozent der Baumaterialabfälle durch die konkrete BIM-Mengenplanung vermieden werden.

Projektübergreifend Analyse
Doch die BIM-Lösung von Autodesk kann noch mehr. Das Software-Tool Insight erfasst die vergleichbaren Daten aller Projekte eines Unternehmens. Das macht eine vergleichende Erfolgsanalyse der Baustellen möglich. Welches Projekt läuft am besten? Wo sind die Kosten im Planungsrahmen? An welcher Baustelle hinkt man dem Zeitplan hinterher?

BIM-Projekt Felix Platte Spital
Auf dem Autodesk Construction Event 2017 kamen auch BIM-Anwender zu Wort. So schilderten Jochen Dietmeter, Technischer Leiter beim Bauunternehmen BAM Swiss AG, und Marcel Backofen, BIM-Koordinator beim BAM Swiss, ihre Erfahrungen, die sie beim Neubau des Felix Platte Spitals im schweizerischen Basel gesammelt hatten. Der Klinikneubau war im Jahr 2013 mit der Maßgabe ausgeschrieben worden, BIM beim Bauprozess einzusetzen. Aktuell steht das Bauvorhaben kurz vor seinem Abschluss.
Zudem sah die Ausschreibung vor, ein konsistentes Bauwerks-Modell vorzulegen. Hier lieferte laut BIM-Koordinator Backofen die Kollisionskontrollfunktion der BIM-Lösungen wertvolle Dienste.
Aus Sicht von BAM-Fachmann Backofen hilft die frühzeitige Gebäudesimulation auch den Bauherren, sich die Auswirkungen einzelner Bauschritte oder Bau-Planänderungen besser zu verstehen. „Das gilt gerade auch für Bauherren mit weniger Bauerfahrung“, so BIM-Koordinator Backofen.
Kritisch bewertete Backofen die hohe Anzahl verschiedener Softwareprogramme, die im Rahmen des BIM-Prozesses beim Klinkbau in Basel eingesetzt wurden. Die Vielzahl der Programme sei jedoch eine potenzielle Fehlerquelle, denn der Datenaustausch zwischen den Programmen sei sehr anfällig, so Backofen.

Logistikplanung
Doch beschränken sich die Vorteile von BIM laut BAM-Swiss-Experte Backofen nicht nur auf den eigentlichen Bauprozess. „Auch die Logistikplanung lässt sich sehr gut validieren.“ Als konkretes Beispiel verwies er auf die Vorratshaltung der Gipsplatten. So seien während des Bauprozesses deutlich weniger Gipsplatten auf der Baustelle bevorratet gewesen, als der zuständige Akustikbauer vorgesehen hatte. Insgesamt sei auch das Management auf der Baustelle durch BIM verbessert worden, so Backofen. „Das hat das Arbeitsklima auf der Baustelle deutlich verbessert. Dafür haben wir viel Anerkennung von den Nachunternehmen erhalten“, so Backofen.

Zugang für Partner
Insgesamt pflegte BAM Swiss auf der Spital-Baustelle in Basel einen offenen Umgang mit seinen Nachunternehmern. „Den Schlüsselgewerken haben wir Zugang zu den Softwaremodellen gewährt“, so Backofen. Mit bemerkenswertem Ergebnis: „Dadurch haben die Beteiligten mehr die Gesamtheit der Baustelle begriffen.“

BIM für Hausherren
Doch nicht nur die Baubeteiligten profitieren von BIM, auch Immobilienbesitzer können Vorteile aus den digitalen Bauwerksmodellen ziehen. „Einmal erkannte Probleme lassen sich anhand eines BIM-Modells viel einfacher den Gesprächspartner erklären“, sagte Simon Jagenow, BIM-Experte bei Siemens Real Estate. Auch deshalb will Industriegigant Siemens sein gesamtes Immobilienportfolio „digitalisieren“. Laut Jagenow umfasst der Immobilienbestand von Siemens weltweit rund 14,7 Mio. Quadratmeter. Der Siemens-Konzern will für jede Immobilie einen „digitalen Zwilling“ errichten. Doch Jagenow betonte: „Wir profitieren von BIM nur, wenn unsere Dienstleister mit BIM arbeiten können.“
Und damit traf Jagenow einen wesentlichen Punkt: BIM ist eine kooperative Arbeitsmethode. Nur wenn alle wesentlichen Bau beteiligten mitmachen, kann BIM seinen maximalen Nutzen entfalten.

Erschienen in Ausgabe: November 2017 | Seite 35

Zurück