Abbruch - von Redaktion
Dekontamination mittels Höchstdruck
Stilllegung und Rückbau von Kernkraftwerken
Duisburg (Nordrhein-Westfalen) – Vor dem Hintergrund des beschleunigten Ausstiegs aus der Kernenergie in Deutschland gerät der Rückbau von Kraftwerken und anderen kerntechnischen Anlagen verstärkt in den Fokus des fachlichen und öffentlichen Interesses. Dabei ist die Dekontamination der Anlagenelemente von großer Bedeutung. Sie zielt darauf ab, die Strahlenbelastung des Personals beim Rückbau zu reduzieren, die Menge an radioaktiven Stoffen zur Endlagerung zu verringern und eine möglichst weitgehende Wiederverwertung der einzelnen Bauteile zu gewährleisten.
Nach Ende ihrer betrieblichen Nutzung werden kerntechnische Anlagen zum Schutz von Mensch und Umwelt stillgelegt. Dies bedeutet in der Regel, dass betroffene Gebäudeteile dekontaminiert und das abgetragene Material entsorgt werden muss, um das Gelände uneingeschränkt für eine andere Nutzung freigeben zu können. Dabei gilt es, die radioaktive Strahlung der belasteten Anlagenteile zu berücksichtigen. Es müssen Schutzmaßnahmen getroffen und passende Dekontaminationsverfahren gewählt werden. Die einzelnen Anlagenteile können durch einen direkten Kontakt – beispielsweise mit radioaktivem Kühlmittel – oder aus der Luft belastet sein. In Kernnähe und im Bereich des Reaktordruckbehälters ist die Kontamination daher besonders hoch.
Direkter Abbau oder sicherer Einschluss
Nach dem Abschalten des Kernreaktors erfolgt die Nachbetriebsphase, in der unter anderem Brennelemente abtransportiert oder Betriebsmedien und -abfälle entsorgt werden und die Genehmigung der Stilllegung beantragt wird.
Zwei Vorgehensweisen werden unterschieden:
• Direkter Abbau: Die Anlage wird sofort beseitigt. Der Vorgang wird vom Anlagenpersonal betreut, das den Reaktor und seine Historie kennt. Nachteilig wirkt sich die höhere Radioaktivität aus.
• Abbau nach sicherem Einschluss: Bei dieser Stilllegungsstrategie wird die Anlage für einen längeren Zeitraum in einem praktisch wartungsfreien Zustand eingeschlossen. Über einige Jahrzehnte klingt die Radioaktivität nun ab. Der Abbau wird damit erleichtert, allerdings ist der personelle Aufwand erheblich höher als beim direkten Abbau.
Vorbereitende Maßnahmen
Zur Vorbereitung der Abbauarbeiten erfolgt die Erstellung einer detaillierten Übersicht der radioaktiven Komponenten, um über die Techniken für die Dekontamination und Zerlegung zu entscheiden und dann die eigentlichen Maßnahmen einzuleiten. Zuerst werden in den meisten Fällen die weniger strahlenbelasteten und dann die stärker kontaminierten Bereiche behandelt. Nahezu alle Anlagenteile werden in handhabbare Stücke zerlegt und danach – wenn nötig – dekontaminiert.
Dekontaminierungsverfahren
Bei oberflächlicher Kontamination genügt oft ein Bürsten oder Waschen mit Hochdruck; bei tiefergehender Kontamination müssen Teile der Oberfläche abgetragen werden. Im Allgemeinen sind zwei Verfahren zu unterscheiden:
• Beim chemischen Verfahren werden zum Beispiel Säuren, Schäume oder Gele eingesetzt. Sie greifen die Oberfläche an und lösen kontaminierte Schichten ab.
• Die mechanischen Verfahren umfassen Bürsten, Feucht- und Sandstrahlen und Hochdruckreinigen mit Wasser. Um die Oberfläche abzutragen, können diese Strahlverfahren mit abrasiven Mitteln eingesetzt werden.
• Ohne Zugabe von Abrasivmitteln funktioniert der Einsatz von Ultrahochdruckverfahren.
Hoch- und Ultrahochdruck-Wasserstrahlen bei der Dekontamination
„Der Einsatz von Hoch- und Ultrahochdruck-Wasserstrahl-Verfahren spielt beim Rückbau von kerntechnischen Anlagen eine wesentliche Rolle, da sich diese Technik sowohl für die Dekontaminierung als auch das Zerlegen betroffener Bauteile eignet“, sagt Alexander Reger, Leiter der Anwendungstechnik beim Duisburger Ultrahochdruckspezialisten Woma. Zudem könnten auch schwermetallhaltige und faserhaltige Beschichtungen abgetragen werden. Werde mit Wasserhöchstdruck gearbeitet, gebe es mehrere Faktoren, die für die hydromechanische Leistung entscheidend sind. „Bei der Dekontamination kommen Geräte mit einem Wasserdruck von 400 bis 3.000 bar zum Einsatz. Maßgeblich sind der Wasserdruck, die Fördermenge und das gewählte Wasserwerkzeug“, so Reger weiter. Mit seiner breiten Palette ist das Hoch- und Ultrahochdruck-Verfahren besonders anpassungsfähig. Diese Flexibilität ist beim Rückbau von Kernkraftwerken gefordert. Denn unterschiedliche Materialien und die Intensität der Radioaktivität erfordern jeweils eigene Maßnahmen und Werkzeuge:
• Zur großflächigen Reinigung kommen Wasserwerkzeuge wie eine Pistole mit Turbodüse oder Flächenreiniger zum Einsatz.
• Pistolen mit einzelner Punktstrahldüse oder der rotierende Orbimaster eignen sich für den Tiefenabtrag.
• Zum Schneiden werden Ultrahochdrucksysteme mit Abrasivmitteln eingesetzt.
• Komplexe Geometrien wie Ecken, Zwickel und Kanten und andere schwer zugängliche Stellen lassen sich mit konfigurierbaren Pistolen bearbeiten.
Sicheres Arbeiten in Dekontaminationsanlagen
Kontaminierte Anlagenteile können manuell mit Höchstdrucktechnik bearbeitet werden. Allerdings sind umfangreiche Schutzmaßnahmen zu treffen. So muss der Bediener einen Schutzanzug und eine Haube mit Atemluftversorgung anlegen. Dekontaminationsanlagen mit Personenschleuse, integrierter Dusche und Strahlkabine sorgen für höchstmögliche Sicherheit. In der Schleuse wird die Schutzkleidung an- und abgelegt und gereinigt. In der Kabine erfolgt die Dekontamination mit Handstrahllanzen. Bei Handarbeit ist zu beachten, dass die Rückstoßkraft der Pistole die gesetzliche Obergrenze von 150 Newton (N) beziehungsweise bei der Arbeit mit Körperstütze 250 Newton nicht überschreitet. Dadurch ergibt sich bei einer durchschnittlichen Arbeitskraft beispielsweise bei einem Gerät mit 2.500 bar eine maximale Fördermenge von 24 Litern/Minute. Wird die Arbeit mit Robotern durchgeführt, kann diese auch bei weit über 250 Newton liegen.
Rohrbündel-Reinigung außerhalb der Gefahrenzone
Vermehrt sind Anlagen zur Dekontamination gefragt, bei denen sich der Bediener außerhalb der Gefahrenzone befindet und eine vollautomatische Reinigung erfolgt. So können etwa verschmutzte und kontaminierte Rohrbündel und Wärmetauscher mit einem System gereinigt werden, das die einzelnen Rohre selbsttätig abfährt. Mit einer umfassenden Kamera- und Laserüberwachung hat der Bediener den Vorgang im Blick – ohne kontaminierten Bauteilen nahe zu kommen. Um eine gründliche Reinigung zu gewährleisten, dokumentiert eine Wegmessung des Schlauches jeden Millimeter im Rohr. Der servomotorische Antrieb ermöglicht eine genaue Positionsbestimmung des Systems und ein besonders kontrolliertes Arbeiten.
von Redaktion
Erschienen in Ausgabe: Juni 2015 | Seite 30